BUND       -Schutz vor niederfrequenten

 

                 magnetischen Wechselfeldern 

 

                bei Hochspannungs-
              Freileitungen und Erdkabeln
 

http://www.bund.net/fileadmin/bundnet/publikationen/technischer_umweltschutz/20120126_hintergrund_elektromagnetische_felder.pdf

 

 

1 Sachstand, Problemstellung

Im vorliegenden Hintergrundpapier geht es um die

Frage, unter welchen Bedingungen Hochspannungs-

netze ohne Gefahren für die Gesundheit ausgebaut wer-

den können. Zum Ausbaubedarf des deutschen Stromnet-

zes gibt es bisher keine gesicherten Erkenntnisse. Klar ist

aber, dass für die Integration der Erneuerbaren Energien

neue Stromleitungen benötigt werden. Fragen der Bedarfs-

reduzierung auch durch eher regional strukturierte Ver-

sorgungssysteme sind dabei vorrangig zu diskutieren. Bei

der Netzplanung ist ein ausreichender Schutz bzw. die not-

wendige Vorsorge bei niederfrequenten elektromagneti-

schen Wechselfeldern unter Hochspannungs-Freileitun-

gen und über Erdkabel zu konkretisieren. Nur anhand

entsprechender Bewertungsmaßstäbe lässt sich dann ab -

schätzen, unter welchen Bedingungen man möglicherweise

notwendige Pläne und Maßnahmen mittragen kann – oder

aber ablehnen muss.

Die Übertragung von Energie mit Hochspannungsgleich-

strom (HGÜ) wird häufig als Alternative zu der bekann-

ten Wechselspannungsübertragung genannt. Sie kann

Vorteile bringen, verursacht aber neue gesundheitliche

Fragen. Da diese Übertragung bisher vorrangig bei Unter-

wasserverbindungen eingesetzt werden soll, kommt hier-

zu erst später eine Ergänzung.

 

2 Grundlagen

Die in Betracht kommenden Feldquellen unter-

scheidet man zunächst generell in solche mit nie-

derfrequenten Feldern (wie z. B. die 50-Hz-Hoch-

spannungs-Freileitungen) einerseits und hochfrequente

Anlagen andererseits

2

. Zu den Quellen niederfrequenter

Felder, die mit Netzstrom betrieben werden und von außen

auf Aufenthaltsbereiche des Menschen einwirken, zählen

insbesondere Hochspannungs(frei)leitungen, Trafostatio-

nen und Umspannwerke mit einer Oberspannung unter-

halb 220 kV. Die Felder werden unterschieden in elektri-

sche und magnetische Felder:

• Ein elektrisches Feld beschreibt den Zustand eines

Raums, in dem physikalische Kräfte zwischen elektri-

schen Ladungen wirken. Elektrische Ladungen sind per-

manent von einem elektrischen Feld umgeben. Nieder-

frequente elektrische Wechselfelder entstehen bei allen

Leitungen und Geräten, die an die Stromversorgung

angeschlossen sind. Die Feldstärke eines elektrischen

Felds wird in der Maßeinheit „Volt pro Meter“ (V/m)

gemessen. Grundbelastungen innerhalb von Gebäuden

durch hauseigene Gräte und Leitungen rangieren zwi-

schen 5 und 50 V/m.

• Fließt Strom durch einen Leiter, umgibt ihn ein Magnet-

feld. Im Bereich der niederfrequenten Felder haben die

magnetischen Wechselfelder eine größere Bedeutung als

die elektrischen Felder, da magnetische Felder Gegen-

stände in einem größeren Maß durchdringen und nicht

ohne weiteres abgeschirmt werden können. Gemessen

wird die magnetische Feldstärke in der Einheit „Ampere

pro Meter“ (A/m). Als Indikator zur Beurteilung des

Magnetfelds wird jedoch üblicherweise die magnetische

Flussdichte mit der Maßeinheit „Tesla“ (T) angegeben,

die unmittelbar mit der Feldstärke zusammenhängt. Die

Grundbelastungen innerhalb von Wohnungen liegen

etwa zwischen 0,02 und 0,2 Mikrotesla (μT) in ländli-

chen Bereichen, in städtischen Bereichen zwischen 0,1

und 1 μT.

 

 

 

Hochspannungsleitungen  bestehen aus mehreren Einzelleitungen.

 Meist werden Drehstromsysteme mit jeweils drei

(Phasen-) Leitungen benutzt, deren Felder sich überlagern.

Wesentliche Faktoren hinsichtlich Stärke und Verteilung

der elektrischen und magnetischen Felder im Umfeld einer

Hochspannungsfreileitung sind:

- Spannung,

- Stromstärke,

- Form des Mastes und Anordnung der Leiterseile,

- Anzahl der Leiterseile,

- Abstand der Leiterseile vom Boden.

Die Feldstärke am Boden wird neben der Spannung und

Stromstärke sowie Mastform vom Abstand der Leiterseile

vom Boden bestimmt. Dieser verändert sich zwischen zwei

Masten mit der Temperatur der Leiterseile: Je höher die

Übertragungsleistung (Stromstärke) und Lufttemperatur,

umso stärker ist aufgrund der thermischen Ausdehnung

der Durchhang. Die höchsten Feldstärken entstehen direkt

unterhalb der Leiterseile.

Zur konkreten Ermittlung einer möglichen Belastung durch

elektrische und magnetische Wechselfelder in der Nähe

von Hochspannungsleitungen sollten die folgenden Fra-

gen beantwortet werden:

• Wie groß ist die maximal mögliche Stärke der elektri-

schen und magnetischen Wechselfelder im Abstand von

x Metern Entfernung von der Trassenmitte?

• Wie ist der zeitliche Verlauf der elektrischen und magne-

tischen Wechselfelder?

• Welche maximalen Stromstärken sind für die Leitun-

gen insgesamt zugelassen?

• Welche technischen Maßnahmen sind vorgesehen, um

die Belastung durch magnetische Wechselfelder zu mini-

mieren? Hinweis: Durch die geeignete Anordnung der

Phasenleiter kann eine erhebliche Reduzierung der

magnetischen Flussdichte erreicht werden.

Entscheidend ist letztlich die gesamte, auf den Menschen

einwirkende Feldstärke. Auch die örtlichen und häuslichen

Stromversorgungsleitungen verursachen bei geringen

Abständen durchaus Expositionen von >0,3 Mikrotesla.

Diese und höhere Belastungen findet man z. B. noch bei

Radioweckern, Fernsehern oder auch Leuchtstofflampen

in einem Abstand von 30 Zentimetern. Solche Einwir-

kungen in unmittelbarer Nähe werden oft unterschätzt.

Die Frage eines ausreichenden Schutzes vor zusätzlich ein-

wirkenden Feldern durch Hochspannungsleitungen ist auf-

grund der vielfältigen Quellen im täglichen Lebensumfeld

daher nicht leicht zu beantworten.

Eine der zentralen Fragen beim Neubau oder Ausbau

von Energietrassen ist, ob der rechtlich festgelegte

Schutzanspruch Betroffener vor einwirkenden Fel-

dern ausreichend ist. Dieser Schutzanspruch ist in der 26.

BImSchV geregelt, einer Verordnung des Bundes-Immis-

sionsschutzgesetzes (BImSchG). Dieses Gesetz zählt gemäß

§ 3 die elektrischen und magnetischen Felder zu den schäd-

lichen Umwelteinwirkungen, vor denen Mensch und

Umwelt geschützt werden müssen. Rechtlich gesehen sind

Hochspannungsleitungen keine sog. „genehmigungsbe-

dürftige Anlagen“ im Sinne des BImSchG. Die Betreiber-

pflichten gemäß § 5 BImSchG zum Schutz und zur Vor-

sorge vor schädlichen Umwelteinwirkungen greifen daher

hier nicht. Auch die Regelungen zum Genehmigungsver-

fahren (Bürgerbeteiligung etc.) gemäß BImSchG finden

keine Anwendung, sondern die Fachverfahren des Ener-

gierechts. Gleichwohl könnten in der 26. BImSchV ent-

sprechende Vorschriften nicht nur zum Schutz, sondern

auch zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen

erlassen werden. Dies ist jedoch so gut wie gar nicht

geschehen

 

. Weit reichende Festlegungen durch den Ver-

ordnungsgeber sind also bereits heute möglich, aber weder

ausreichend ausgeschöpft noch hinreichend weit genug

gefasst:

 

Der Schutzumfang in der Verordnung

über elektromagnetische Felder

(26. BImSchV)

 

 

• Der Schutzanspruch der 26. BImSchV: Die dort festge-

legten Immissionsgrenzwerte können zwar von Betrof-

fenen eingeklagt werdend, liegen aber so hoch (siehe

Tabelle 2), dass damit kein ausreichender Gesundheits-

schutz erreicht werden kann. Sie berücksichtigen nicht

die zum Teil seit Jahrzehnten bekannten, aber auch aktu-

ellen Erkenntnisse über die gesundheitlichen Wirkun-

gen. Genehmigungsbehörden und Gerichte sehen daher

bei Einhaltung der in der 26. BImSchV genannten Grenz-

werte keine gesundheitlichen Gefahren.

• Der Vorsorgeanspruch der 26. BImSchV: Die 26.

BImSchV bezieht sich zwar ausdrücklich in § 1 Abs. 1

(Anwendungsbereich) auf die Vorsorge, sie trifft kon-

krete Aussagen aber lediglich in § 4 für Niederfrequenz-

Anlagen (allerdings mit nur unzureichenden Bestim-

mungen).

In der Begründung zur 26. BImSchV wurde darauf ver-

zichtet, Anforderungen zur Vorsorge und zum Schutz der

vielfältigen Wirkungen (siehe Abbildung 4) durch elek-

tromagnetische Felder aufzunehmen. Dadurch ist der

unhaltbare Zustand entstanden, dass bei den beobachte-

ten Wirkungen durch elektromagnetische Felder quasi ein

rechtsfreier Raum besteht und Betroffene keinen Rechts-

schutz geltend machen können. Nur die Aufnahme der

erkannten Gesundheitsgefahren und Risiken in die Werta-

bleitung in Anhang 2 der 26. BImSchV kann dieser Ver-

ordnung den grund- und fachrechtlich gebotenen Schutz-

und Vorsorgeumfang zuweisen.

Gefordert ist der Gesetzgeber, der sowohl die Wirksamkeit

des Gefahrenschutzes anpassen als auch die Begrenzung

der verschiedenen Wirkungen auf den menschlichen Orga-

nismus endlich mit wirksamen Vorsorgebestimmungen

und -werten in der 26. BImSchV festlegen muss. Anhand

solcher Immissionsstandards zur Vorsorge ließen sich dann

Anforderungen an Betreiber formulieren bzw. der Stand

der Technik festlegen. Auch könnten Festlegungen über

erforderliche Abstände zu sensiblen Nutzungen die Immis-

sionen begrenzen. Aus diesem Mangel heraus findet nach-

folgend eine Auseinandersetzung mit dem erforderlichen

Schutz- und Vorsorgeumfang und den daraus folgenden

konkreten Wertmaßstäben statt.

 

Gesundheitliche Wirkungen

niederfrequenter Magnetfelder

 

Natürliche elektrische, magnetische und elektro-

magnetische Felder (EMF)

besitzen eine große

Bedeutung für die Evolution und Organisation

des Lebens. Dadurch gehören sie zu den natürlichen Lebens-

grundlagen und Umweltbedingungen, die in Deutschland

verfassungsgemäß geschützt werden müssen (Art 20a GG).

Beispielsweise entstehen elektromagnetische Felder gerin-

ger Intensität, wenn die menschlichen Nervenzellen im

Gehirn und Rückenmark Informationen verarbeiten und

die Muskeln zu Aktivitäten anregen. Tiere (vor allem Vögel,

Reptilien, aber auch einige Säugetiere) nutzen das Erdma-

gnetfeld bzw. lokale Feldanomalien für die Orientierung.

Im Gegensatz zu vielen Tieren besitzt der Mensch offen-

sichtlich kein direktes Sinnesorgan für solche Felder, er

kann allenfalls deren Auswirkungen wahrnehmen.

Innerhalb nur einer Generation wurden die die Menschen

und andere Lebewesen von jeher umgebenden natürlichen

Felder massiv von künstlichen Feldern überlagert. Vor

allem in bewohnten Gebieten treten heute diese künstli-

chen Magnetfelder nun großräumig, intensiv und dauer-

haft überall dort auf, wo elektrischer Strom fließt: bei der

Benutzung von elektrischen Geräten, bei Hochspan-

nungsleitungen, Bahnstromleitungen, elektrischen Hau-

sinstallationen und Transformatorenstationen. Die Feld-

stärken liegen in vielen Fällen bereits mehr als zehntau-

send- bis millionenfach höher als die natürlichen Felder

und damit im Bereich von biologisch nachweisbaren oder

vermuteten Wirkungen.

Im Bereich Niederfrequenz und untere Hochfrequenz (0 bis

30 kHz) können hohe Feldstärken zur Induktion starker

Körperströme führen. Solche Reizwirkungen auf den Orga-

nismus sind gut untersucht und bilden die Grundlage für

die Festlegung von Grenzwerten (siehe Abbildung 4). Die

Abbildung 4 gibt zudem einen Überblick über wissen-

schaftliche Untersuchungsergebnisse zu gesundheitlichen

Auswirkungen und biologischen Effekten durch nieder-

frequente Magnetfelder. Epidemiologische Untersuchun-

gen an Bevölkerungsgruppen, die erhöhten magnetischen

Feldern ausgesetzt waren, deuten auf höhere Risiken für

bestimmte Erkrankungen und Befindlichkeitsstörungen

bereits bei Flussdichten von weniger als 1 μT hin. Die Stu-

dien weisen auch auf den starken Verdacht, dass nieder-

frequente Magnetfelder ab etwa 0,2 μT zu einem erhöh-

ten Leukämierisiko bei Kindern führen (in Übereinkunft

mit internationalen Erfahrungen)

 

. Seit 30 Jahren stehen

niederfrequente Magnetfelder im Verdacht, das Leukä-

mierisiko für Kinder zu erhöhen. Die Weltgesundheitsor-

ganisation (WHO) klassierte im Jahr 2007 niederfrequen-

te Magnetfelder als möglicherweise krebserregend für Men-

schen. Auch bei Erwachsenen gibt es deutliche Hinweise

auf ein erhöhtes Erkrankungsrisiko an Leukämie in Zusam-

menhang mit einer erhöhten Belastung durch Magnetfel-

der. Für Expositionen über 0,2 μT werden statistisch sig-

nifikant erhöhte relative Risiken für Leukämie festgestellt.

Diese Aussagen werden durch neue, wissenschaftliche

Ergebnisse bestätigt, die in einem Bericht des schweizeri-

schen Bundesamtes für Umwelt (BAFU) zusammengefas-

st sind

 

. Aus Zellexperimenten ergeben sich demnach auch

Hinweise, dass niederfrequente Magnetfelder die Wirkung

bekannter krebserzeugender Stoffe verstärken können.

Es gibt sehr starke Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für

neurodegenerative Erkrankungen infolge Exposition durch

niederfrequente Magnetfelder. Für Expositionen über 0,2

μT wurden in epidemiologischen Untersuchungen stati-

stisch signifikant erhöhte relative Risiken vor allem für

eine Erkrankung an Amyotrophischer Lateralsklerose (eine

degenerativen Erkrankung des Nervensystems), weniger

deutlich auch für die Alzheimer-Krankheit und andere For-

men dementer Erkrankungen nachgewiesen. Auch liegen

zahlreiche wissenschaftliche Hinweise darauf vor, dass nie-

derfrequente Magnetfelder zu Veränderungen am Erbma-

terial, zur vermehrten Produktion von Zell-Stress-Protei-

nen und zu Beeinträchtigungen bestimmter Zellfunktio-

nen führen können. Alle diese Effekte haben Bedeutung

für die Kanzerogenese.

Damit kann – neben anderen Wirkungen – das erhöhte

Leukämierisiko ab etwa 0,2 μT als Schwelle zu einer adver-

sen Wirkung (siehe Abbildung 5) angesehen werden, die

zur Ableitung eines ausreichenden Schutzes oder der Vor-

sorge vor schädlichen Umwelteinwirkungen herangezo-

gen werden kann.

 

 

Konkretisierung des Schutz- und

Vorsorgeanspruchs

 

Einordnungen

Der gesetzlich festgelegte Schutz der Bevölkerung

vor Immissionen (jenseits des Arbeitsschutzes, der

hier nicht betrachtet werden soll) gilt in der Regel

für den Bereich außerhalb von Gebäuden und Wohnun-

gen (siehe Luftverunreinigungen, Lärm). Die nachfolgen-

den Betrachtungen beziehen sich daher weniger auf Quel-

len aus dem häuslichen Innenbereich, als auf den Raum

außerhalb von Gebäuden, da der jeweilige Umgang mit

dem Haushaltsstrom entsprechend individuelle Feldstär-

ken hervorruft. Der Schutzanspruch muss allerdings so

ausgestattet sein, dass auch der Innenraum ausreichend

geschützt wird und der individuelle Anspruch auf das Frei-

sein von schädlichen Einwirkungen erfüllt werden kann.

Denn im Gegensatz zu anderen Immissionen führt die

Durchdringung schützender Barrieren (zum Beispiel

Wände) bei magnetischen Feldern zur dauerhaften Ein-

wirkung von außen.

Die Begründung von Immissionswerten soll daher in zwei

Richtungen erfolgen: zum einen wird ein Schutzanspruch

(Gefahrenschutz) definiert, der an Orten gelten soll, die

dem Aufenthalt von Menschen dienen. Durch den Schutz-

anspruch wird auch definiert, bei welchen Feldstärken

bei bestehenden Leitungen eine Sanierung erforderlich

erscheint (Handlungsbedarf). Zum anderen wird die zusätz-

lich einwirkende magnetische Feldstärke definiert, die bei

dem geplanten Ausbau und Umbau von Hochspannungs-

leitungen/Erdkabel zur Vorsorge bei dem Aufenthalt dien-

enden Nutzungen/Räumen nicht überschritten werden soll.

Im Grunde gibt es möglicherweise keine Wirkungs-

schwellen, unterhalb derer mit Sicherheit ein ausreichen-

der Schutz der menschlichen Gesundheit gewährleistet ist.

Wie eine schwedische Studie eindrucksvoll belegt, sind

selbst bei Einhaltung der am Minimierungsprinzip orien-

tierten Normen (TCO-Norm) erhebliche Schadwirkungen

bei Betroffenen nicht auszuschließen. Auch aufgrund der

offensichtlich nicht linear verlaufenden Dosis-Wirkungs-

Beziehungen wird ein klarer Grenz- oder Zielwert proble-

matisch. Gleichwohl ist unser rechtlich-gesellschaftliches

System immer wieder auf einfache Wertsetzungen und

Standards hin fixiert, um nachprüfbare Entscheidungen

über das Für und Wider treffen zu können. Von besonde-

rer Bedeutung ist daher die Frage, wie eine unerwünsch-

te Wirkung definiert wird wo der Beginn dieser Wirkung

auf einer Dosis-Wirkungs-Skala liegt.

Gesundheitliche Schäden durch eine Schadwirkung (Noxe)

gelten gemeinhin dann als nachgewiesen, wenn Ergeb-

nisse aus unabhängig voneinander geführten Untersu-

chungen im Hinblick auf den Schadeffekt übereinstimmen

oder Untersuchungen nach wissenschaftlichen Regeln

durchgeführt werden und demnach als valide eingestuft

werden können. Als Ausgangspunkt zur Begründung einer

Schadwirkung gilt der so genannte „adverse Effekt“, in der

Regel ein solcher mit Krankheitswert. Durch entsprechen-

de Maßnahmen müssen adverse Effekte ausgeschlossen

werden. Insbesondere bei langfristig einwirkenden, nicht

akut toxisch wirkenden Noxen ist aber eine entsprechen-

de Beweisführung oft schwierig, so auch bei den magne-

tischen Wechselfeldern. Für die hier anzugebenden Bewer-

tungsmaßstäbe ist die VDI-Definition zur Adversität

hilfreich. Sie erlaubt es, eine größere Bandbreite von Beur -

teilungsgrundlagen zu berücksichtigen (Abbildung 5).

 

BUNDhintergrund

Bewertungsmaßstab zur Gefahrenabwehr:

0,01 μT

Auf Grundlage der oben aufgezeigten gesundheitlichen

Effekte und Einordnungen werden nachfolgende Bewer-

tungsmaßstäbe abgeleitet. Als Begründung von Immissi-

onswerten wird von den „konsistenten Hinweisen“ als Maß

einer hohen Evidenz für gesundheitliche Auswirkungen

und biologische Effekte ausgegangen. Ein Schwellenwert

für die magnetischen Flussdichte, der ein Tausendstel bis

ein Hundertstel unterhalb der heute noch gültigen Grenz-

werte beträgt, kann mit 0,2 μT angegeben werden. Zusätz-

lich gibt es „starke Hinweise“

 

als Maß der Evidenz für

neurodegenerative Erkrankungen bei ebenfalls 0,2 μT und

Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei 1 μT.

Solche Störungen wären als erhebliche gesundheitliche

(adverse) Wirkung gemäß BImSchG auszuschließen, wenn

die Evidenz der genannten Untersuchungen offiziell aner-

kannt würde. Der erweiterte Begriff von Adversität durch

den VDI erlaubt jedoch, zumindest von diesem Schwel-

lenwert auszugehen. Wenn man (in Analogie zu anderen

Noxen) zum Ausschluss dieser Effekte einen Standard defi-

niert, so ist im Allgemeinen ein – eher niedrig angesetz-

ter – Unsicherheitsfaktor 10 üblich. Dieser Unsicherheits-

faktor begründet sich auch aufgrund der Tatsache, dass

bei mutagenen kanzerogenen Effekten kein Schwellenwert

angegeben werden kann. Ein weiterer Faktor zum Schutz

empfindlicher Bevölkerungsgruppen wird hinzukommen

müssen (für Kinder, Kranke, Schwangere, Ältere). Bei der

Standardfindung im stofflich-toxikologischen Bereich lie-

gen Sicherheitsabstände mit einem Gesamt-Faktor 10 –100

unterhalb einer anerkannten Wirkungsschwelle im übli-

chen Rahmen. Setzt man hier den Sicherheitsfaktor mit

lediglich 20 an, so erhält man als erforderlichen Gefah-

renschutzstandard 0,01 μT. Dieser Unsicherheitsfaktor ist

sicherlich in speziellen Fällen einer Elektrosensibilität oder

bei einem individuell erhöhten Schutzanspruch unzurei-

chend. Er soll das Maß eines grundrechtlich gebotenen und

EU-weit eingeforderten hohen Schutzniveaus insgesamt

konkretisieren.

Tabelle 2 zeigt deutlich, dass die bisher gültige Norm der

26. BImSchV dem nationalen und internationalen Ver-

gleich nicht standhalten kann. Deutlich wird auch, dass

viele Bewertungsmaßstäbe auf das Risiko für die Krebs

erzeugende Wirkung durch Felder abstellen. Die Tabelle 3

fasst die Begründungen des BUND zum Schutz und zur

Vorsorge zusammen und schätzt die Abstände bei Freilei-

tungen unter der Annahme einer 380 kV-Freileitung ab.

Aus diesem Schutzanspruch heraus begründen sich auch

die verschiedenen Abstände bei Erdkabel.

 

Bewertungsmaßstab zur Vorsorge: <0,01 μT

Das nicht nur in Deutschland geltende, sondern interna-

tional eingeführte Vorsorgeprinzip ermöglicht, auch bei

noch unvollständigem Wissen um die Wirkungszusam-

menhänge und bei nicht exakt abschätzbaren Eintritts-

wahrscheinlichkeiten von Schäden, bereits wirkungsvolle

und rechtlich verbindliche Maßnahmen zur Vorsorge bzw.

Begrenzung von Risiken einzuleiten. Das Bundesverwal-

tungsgericht hat hierzu schon sehr früh herausgestellt: Es

müssen „auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht

gezogen werden, (...) (für die noch) keine Gefahr, sondern

nur ein Gefahrenverdacht oder ein ‚Besorgnispotential‘

besteht“

 

. Das bedeutet, einem Schädlichkeitsverdacht ist

vor der Gefahrengrenze vorzubeugen (mit ausreichendem

Sicherheitsabstand), bzw. kann Vorsorge eine Risikomini-

mierung (durch entsprechende Maßnahmen) bereits dann

verlangen, wenn kausale, empirische oder statistische Ver-

ursachungszusammenhänge nicht oder nicht hinreichend

bekannt oder nachweisbar sind

 

.

Die Notwendigkeit eines Vorsorgestandards ergibt sich aus

dem möglicherweise ungenügenden Sicherheitsabstand

von 20 bei der Ableitung eines Schutzstandards und der

kanzerogenen Eigenschaft von Magnetfeldern. Eine wei-

tere Minimierung der technischen Feldstärken und Unter-

schreitung des angegebenen Schutzstandards in Höhe

<0,01 μT ist daher sinnvoll und folgt auch aus dem immis-

sionsschutzrechtlichen Minimierungsgebot bei Krebs

erzeugenden Noxen.

Anwendung einer einheitlichen

Schutzsystematik im Immissionsschutz

Wegen der nicht mehr wegzudenkenden generellen Aus-

stattung unserer Lebensumwelt mit elektrischen Geräten

und deren Versorgungsleitungen soll kein pauschaler

zusätzlicher Sicherheitsfaktor zur Begründung von Vor-

sorge angegeben werden. Stattdessen soll dem Prinzip der

Minimierung und dem ALARA-Prinzip - „As Low As Rea-

sonably Achievable“ (so gering, wie dies mit vernünftigen

Mitteln machbar ist) gefolgt werden. Dieser Ansatz folgt

der international und national eingeführte Vorsorge zur

Erreichung einer angestrebten Umweltqualität und ist ver-

bindlich konkretisiert. So verfolgt die Umweltpolitik der

Union gemäß Artikel 191 Abs. 1 AEUV (ex-Artikel 174

EGV) die Ziele: Erhaltung und Schutz der Umwelt sowie

Verbesserung ihrer Qualität bzw. Schutz der menschlichen

Gesundheit. Gemäß Abs. 2 zielt die Umweltpolitik der

Union auf ein hohes Schutzniveau ab und beruht auf den

Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung. Ein Beispiel

für die Umsetzung dieses hohen Schutzniveaus in deut-

sches Recht zeigen die Vorgaben für die Luftqualität:

• § 50 Satz 2 BImSchG: Bei raumbedeutsamen Planungen

und Maßnahmen in Gebieten, in denen die in Rechts-

verordnungen (...) festgelegten Immissionsgrenzwerte

nicht überschritten werden, ist bei der Abwägung der

betroffenen Belange die Erhaltung der bestmöglichen

Luftqualität als Belang zu berücksichtigen.

• Analog dazu bestimmt § 26 der 39. BImSchV, dass sich

die zuständigen Behörden darum bemühen, die best-

mögliche Luftqualität unterhalb der genannten Werte,

die mit einer nachhaltigen Entwicklung in Einklang zu

bringen ist, aufrechtzuerhalten und berücksichtigen dies

bei allen relevanten Planungen.

• Ebenso klar äußert sich § 1 Abs. 6 Ziffer 7 Lit. h BauGB,

wonach die Erhaltung der bestmöglichen Luftqualität in

Gebieten, in denen die durch Rechtsverordnung zur

Erfüllung von bindenden Beschlüssen der Europäischen

Gemeinschaften festgelegten Immissionsgrenzwerte nicht

überschritten werden, als Belang zu berücksichtigen ist.

Es spricht nichts dagegen, diese grundsätzliche Schutzsy-

stematik im Immissionsschutz auf die magnetischen Fel-

der zu übertragen. Besonders angesprochen sind die räum-

liche Planung und andere Ermessensentscheidungen. Es

werden damit Anforderungen gestellt, die im Rahmen des

Abwägungsgrundsatzes zwingend eine „Berücksichtigung“

(und damit eine nachprüfbare Auseinandersetzung) dahin-

gehend erfahren müssen, ob die „bestmögliche Qualität“

erreicht wird. Darüber hinaus kann eine „bestmögliche

Qualität“ auch im Sinne der EU als Verbesserungsgebot

interpretiert werden. Dieser ausnutzbare Abwägungs-

spielraum deutlich unterhalb verbindlicher Mindeststan-

dards wird auch sichtbar mit der rechtlichen Interpretati-

on der planerischen Vorsorge. Maßnahmen zur Qualitäts-

sicherung lassen sich also bereits deutlich unterhalb

festgelegter Normen und Standards sowohl fachlich als

auch rechtlich begründen.  

 

 

Fazit: BUND-Forderungen zum Schutz und

zur Vorsorge beim Neubau und Umbau

von Hochspannungsleitungen

Die oft vorzufindende Grundbelastung in Wohnge-

bieten liegt aufgrund vorhandener Versorgungs-

leitungen, Ausstattung mit elektrischen Geräten

etc. i. d. R. oberhalb von 0,01 μT und damit im Bereich

möglicher gesundheitlicher Effekte. Damit sich Hoch-

spannungsnetze dort nicht zusätzlich belastend auswir-

ken, sind sorgfältige und kleinräumige Untersuchungen

bei geplanten oder umzubauenden Trassen – auch im Hin-

blick auf technische Optimierungen – erforderlich. Als Fazit

aus der Betrachtung niederfrequenter magnetischer Wech-

selfelder ergeben sich die folgenden Grundforderungen:

• Trassen für die Hochspannungsleitungen (Freileitungen

und Erdkabel) sind aufgrund der möglichen Wirkungen

für Mensch und Umwelt durch Raumordnungspläne bzw.

die kommunale Bauleitplanung vorzubereiten (Flächen-

nutzungsplan) und zu sichern (Bebauungsplan). Nur hier-

durch ergeben sich weitreichende Möglichkeiten, um den

Schutz empfindlicher Nutzungen vor magnetischen

Wechselfeldern planerisch zu sichern, insbesondere

durch erforderliche Schutzabstände. Die Pflicht zur Auf-

stellung von Bauleitplänen für diesen Zweck ergibt sich

aus § 1 Abs. 3 BauGB, wonach die Gemeinden Bauleit-

pläne aufzustellen haben, sobald und soweit es für die

städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich

ist. Konkrete Erfordernisse zur Berücksichtigung von

Gesundheit und Umweltschutz sind dort weiter ausge-

führt, womit sich der hier abgeleitete Schutzstandard in

Höhe von 0,01 Mikrotesla einführen lässt.

• Errichtung und Betrieb von Hochspannungsfreileitun-

gen sind gemäß Anlage 1 des Gesetzes über die Umwelt-

verträglichkeitsprüfung (UVPG) einer Umweltverträg-

lichkeitsprüfung zu unterziehen. Hierbei sind die Aus-

wirkungen auf die menschliche Gesundheit, Flora und

Fauna explizit im Hinblick auf eine „wirksame Umwelt-

vorsorge“ zu berücksichtigen. Die wirksame Umwelt-

vorsorge vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen wird

durch den BUND-Wert in Höhe von 0,01 μT als zu

unter schreitende zusätzliche Belastung durch das

magnetische Wechselfeld konkretisiert. Für die Ausein-

andersetzung im konkreten Verfahren sollte eingefor-

dert werden, dass der Vorrang des UVPG vor den jewei-

ligen Fachgesetzen (z. B. BImSchG) berücksichtigt wird.

So bestimmt der § 4 UVPG, dass dieses Gesetz vorgeht,

soweit Bestimmungen der Fachgesetze ihm nicht ent-

sprechen (Subsidiaritätsklausel)

 

.

• Neue Trassen (Freileitung) werden ohnehin nicht in

unmittelbarer Nähe der dem Aufenthalt von Menschen

dienenden Gebäude bzw. anderen schutzbedürftigen

Nutzungen errichtet werden können. Aufgrund des erfor-

derlichen Schutzanspruchs in Höhe von 0,01 μT wird ein

Abstand von etwa 600 m bei Leitungen mit 380 kV) ein-

zuhalten sein, wenn keine konkreten Aussagen über die

Verringerung von Emissionen vorliegen (zum Beispiel

durch technische Optimierung). Bei der Erdverkabelung

ergeben sich wesentlich geringere Schutzabstände.

• Beim Umbau und bei der Renovierung vorhandener Lei-

tungen sind alle Maßnahmen zur Minimierung zu ergrei-

fen, um das angestrebte Schutzziel zu erreichen. Insbe-

sondere ist auch an die Anordnung der Leiterseile zur

Minimierung der magnetischen Wechselfelder zu den-

ken.

• Die Sicherstellung eines hinreichenden Schutzniveaus

erfordert ein transparentes Regelungskonzept unter

Beteiligung der Betroffenen und Akteure, auf dessen

Basis Entscheidungen generell und im Einzelfall nach-

vollzogen werden können.