BUND -Schutz vor niederfrequenten
1 Sachstand, Problemstellung
Im vorliegenden Hintergrundpapier geht es um die
Frage, unter welchen Bedingungen Hochspannungs-
netze ohne Gefahren für die Gesundheit ausgebaut wer-
den können. Zum Ausbaubedarf des deutschen Stromnet-
zes gibt es bisher keine gesicherten Erkenntnisse. Klar ist
aber, dass für die Integration der Erneuerbaren Energien
neue Stromleitungen benötigt werden. Fragen der Bedarfs-
reduzierung auch durch eher regional strukturierte Ver-
sorgungssysteme sind dabei vorrangig zu diskutieren. Bei
der Netzplanung ist ein ausreichender Schutz bzw. die not-
wendige Vorsorge bei niederfrequenten elektromagneti-
schen Wechselfeldern unter Hochspannungs-Freileitun-
gen und über Erdkabel zu konkretisieren. Nur anhand
entsprechender Bewertungsmaßstäbe lässt sich dann ab -
schätzen, unter welchen Bedingungen man möglicherweise
notwendige Pläne und Maßnahmen mittragen kann – oder
aber ablehnen muss.
Die Übertragung von Energie mit Hochspannungsgleich-
strom (HGÜ) wird häufig als Alternative zu der bekann-
ten Wechselspannungsübertragung genannt. Sie kann
Vorteile bringen, verursacht aber neue gesundheitliche
Fragen. Da diese Übertragung bisher vorrangig bei Unter-
wasserverbindungen eingesetzt werden soll, kommt hier-
zu erst später eine Ergänzung.
2 Grundlagen
Die in Betracht kommenden Feldquellen unter-
scheidet man zunächst generell in solche mit nie-
derfrequenten Feldern (wie z. B. die 50-Hz-Hoch-
spannungs-Freileitungen) einerseits und hochfrequente
Anlagen andererseits
2
. Zu den Quellen niederfrequenter
Felder, die mit Netzstrom betrieben werden und von außen
auf Aufenthaltsbereiche des Menschen einwirken, zählen
insbesondere Hochspannungs(frei)leitungen, Trafostatio-
nen und Umspannwerke mit einer Oberspannung unter-
halb 220 kV. Die Felder werden unterschieden in elektri-
sche und magnetische Felder:
• Ein elektrisches Feld beschreibt den Zustand eines
Raums, in dem physikalische Kräfte zwischen elektri-
schen Ladungen wirken. Elektrische Ladungen sind per-
manent von einem elektrischen Feld umgeben. Nieder-
frequente elektrische Wechselfelder entstehen bei allen
Leitungen und Geräten, die an die Stromversorgung
angeschlossen sind. Die Feldstärke eines elektrischen
Felds wird in der Maßeinheit „Volt pro Meter“ (V/m)
gemessen. Grundbelastungen innerhalb von Gebäuden
durch hauseigene Gräte und Leitungen rangieren zwi-
schen 5 und 50 V/m.
• Fließt Strom durch einen Leiter, umgibt ihn ein Magnet-
feld. Im Bereich der niederfrequenten Felder haben die
magnetischen Wechselfelder eine größere Bedeutung als
die elektrischen Felder, da magnetische Felder Gegen-
stände in einem größeren Maß durchdringen und nicht
ohne weiteres abgeschirmt werden können. Gemessen
wird die magnetische Feldstärke in der Einheit „Ampere
pro Meter“ (A/m). Als Indikator zur Beurteilung des
Magnetfelds wird jedoch üblicherweise die magnetische
Flussdichte mit der Maßeinheit „Tesla“ (T) angegeben,
die unmittelbar mit der Feldstärke zusammenhängt. Die
Grundbelastungen innerhalb von Wohnungen liegen
etwa zwischen 0,02 und 0,2 Mikrotesla (μT) in ländli-
chen Bereichen, in städtischen Bereichen zwischen 0,1
und 1 μT.
Hochspannungsleitungen bestehen aus mehreren Einzelleitungen.
Meist werden Drehstromsysteme mit jeweils drei
(Phasen-) Leitungen benutzt, deren Felder sich überlagern.
Wesentliche Faktoren hinsichtlich Stärke und Verteilung
der elektrischen und magnetischen Felder im Umfeld einer
Hochspannungsfreileitung sind:
- Spannung,
- Stromstärke,
- Form des Mastes und Anordnung der Leiterseile,
- Anzahl der Leiterseile,
- Abstand der Leiterseile vom Boden.
Die Feldstärke am Boden wird neben der Spannung und
Stromstärke sowie Mastform vom Abstand der Leiterseile
vom Boden bestimmt. Dieser verändert sich zwischen zwei
Masten mit der Temperatur der Leiterseile: Je höher die
Übertragungsleistung (Stromstärke) und Lufttemperatur,
umso stärker ist aufgrund der thermischen Ausdehnung
der Durchhang. Die höchsten Feldstärken entstehen direkt
unterhalb der Leiterseile.
Zur konkreten Ermittlung einer möglichen Belastung durch
elektrische und magnetische Wechselfelder in der Nähe
von Hochspannungsleitungen sollten die folgenden Fra-
gen beantwortet werden:
• Wie groß ist die maximal mögliche Stärke der elektri-
schen und magnetischen Wechselfelder im Abstand von
x Metern Entfernung von der Trassenmitte?
• Wie ist der zeitliche Verlauf der elektrischen und magne-
tischen Wechselfelder?
• Welche maximalen Stromstärken sind für die Leitun-
gen insgesamt zugelassen?
• Welche technischen Maßnahmen sind vorgesehen, um
die Belastung durch magnetische Wechselfelder zu mini-
mieren? Hinweis: Durch die geeignete Anordnung der
Phasenleiter kann eine erhebliche Reduzierung der
magnetischen Flussdichte erreicht werden.
Entscheidend ist letztlich die gesamte, auf den Menschen
einwirkende Feldstärke. Auch die örtlichen und häuslichen
Stromversorgungsleitungen verursachen bei geringen
Abständen durchaus Expositionen von >0,3 Mikrotesla.
Diese und höhere Belastungen findet man z. B. noch bei
Radioweckern, Fernsehern oder auch Leuchtstofflampen
in einem Abstand von 30 Zentimetern. Solche Einwir-
kungen in unmittelbarer Nähe werden oft unterschätzt.
Die Frage eines ausreichenden Schutzes vor zusätzlich ein-
wirkenden Feldern durch Hochspannungsleitungen ist auf-
grund der vielfältigen Quellen im täglichen Lebensumfeld
daher nicht leicht zu beantworten.
Eine der zentralen Fragen beim Neubau oder Ausbau
von Energietrassen ist, ob der rechtlich festgelegte
Schutzanspruch Betroffener vor einwirkenden Fel-
dern ausreichend ist. Dieser Schutzanspruch ist in der 26.
BImSchV geregelt, einer Verordnung des Bundes-Immis-
sionsschutzgesetzes (BImSchG). Dieses Gesetz zählt gemäß
§ 3 die elektrischen und magnetischen Felder zu den schäd-
lichen Umwelteinwirkungen, vor denen Mensch und
Umwelt geschützt werden müssen. Rechtlich gesehen sind
Hochspannungsleitungen keine sog. „genehmigungsbe-
dürftige Anlagen“ im Sinne des BImSchG. Die Betreiber-
pflichten gemäß § 5 BImSchG zum Schutz und zur Vor-
sorge vor schädlichen Umwelteinwirkungen greifen daher
hier nicht. Auch die Regelungen zum Genehmigungsver-
fahren (Bürgerbeteiligung etc.) gemäß BImSchG finden
keine Anwendung, sondern die Fachverfahren des Ener-
gierechts. Gleichwohl könnten in der 26. BImSchV ent-
sprechende Vorschriften nicht nur zum Schutz, sondern
auch zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen
erlassen werden. Dies ist jedoch so gut wie gar nicht
geschehen
. Weit reichende Festlegungen durch den Ver-
ordnungsgeber sind also bereits heute möglich, aber weder
ausreichend ausgeschöpft noch hinreichend weit genug
gefasst:
Der Schutzumfang in der Verordnung
über elektromagnetische Felder
(26. BImSchV)
• Der Schutzanspruch der 26. BImSchV: Die dort festge-
legten Immissionsgrenzwerte können zwar von Betrof-
fenen eingeklagt werdend, liegen aber so hoch (siehe
Tabelle 2), dass damit kein ausreichender Gesundheits-
schutz erreicht werden kann. Sie berücksichtigen nicht
die zum Teil seit Jahrzehnten bekannten, aber auch aktu-
ellen Erkenntnisse über die gesundheitlichen Wirkun-
gen. Genehmigungsbehörden und Gerichte sehen daher
bei Einhaltung der in der 26. BImSchV genannten Grenz-
werte keine gesundheitlichen Gefahren.
• Der Vorsorgeanspruch der 26. BImSchV: Die 26.
BImSchV bezieht sich zwar ausdrücklich in § 1 Abs. 1
(Anwendungsbereich) auf die Vorsorge, sie trifft kon-
krete Aussagen aber lediglich in § 4 für Niederfrequenz-
Anlagen (allerdings mit nur unzureichenden Bestim-
mungen).
In der Begründung zur 26. BImSchV wurde darauf ver-
zichtet, Anforderungen zur Vorsorge und zum Schutz der
vielfältigen Wirkungen (siehe Abbildung 4) durch elek-
tromagnetische Felder aufzunehmen. Dadurch ist der
unhaltbare Zustand entstanden, dass bei den beobachte-
ten Wirkungen durch elektromagnetische Felder quasi ein
rechtsfreier Raum besteht und Betroffene keinen Rechts-
schutz geltend machen können. Nur die Aufnahme der
erkannten Gesundheitsgefahren und Risiken in die Werta-
bleitung in Anhang 2 der 26. BImSchV kann dieser Ver-
ordnung den grund- und fachrechtlich gebotenen Schutz-
und Vorsorgeumfang zuweisen.
Gefordert ist der Gesetzgeber, der sowohl die Wirksamkeit
des Gefahrenschutzes anpassen als auch die Begrenzung
der verschiedenen Wirkungen auf den menschlichen Orga-
nismus endlich mit wirksamen Vorsorgebestimmungen
und -werten in der 26. BImSchV festlegen muss. Anhand
solcher Immissionsstandards zur Vorsorge ließen sich dann
Anforderungen an Betreiber formulieren bzw. der Stand
der Technik festlegen. Auch könnten Festlegungen über
erforderliche Abstände zu sensiblen Nutzungen die Immis-
sionen begrenzen. Aus diesem Mangel heraus findet nach-
folgend eine Auseinandersetzung mit dem erforderlichen
Schutz- und Vorsorgeumfang und den daraus folgenden
konkreten Wertmaßstäben statt.
Gesundheitliche Wirkungen
niederfrequenter Magnetfelder
Natürliche elektrische, magnetische und elektro-
magnetische Felder (EMF)
besitzen eine große
Bedeutung für die Evolution und Organisation
des Lebens. Dadurch gehören sie zu den natürlichen Lebens-
grundlagen und Umweltbedingungen, die in Deutschland
verfassungsgemäß geschützt werden müssen (Art 20a GG).
Beispielsweise entstehen elektromagnetische Felder gerin-
ger Intensität, wenn die menschlichen Nervenzellen im
Gehirn und Rückenmark Informationen verarbeiten und
die Muskeln zu Aktivitäten anregen. Tiere (vor allem Vögel,
Reptilien, aber auch einige Säugetiere) nutzen das Erdma-
gnetfeld bzw. lokale Feldanomalien für die Orientierung.
Im Gegensatz zu vielen Tieren besitzt der Mensch offen-
sichtlich kein direktes Sinnesorgan für solche Felder, er
kann allenfalls deren Auswirkungen wahrnehmen.
Innerhalb nur einer Generation wurden die die Menschen
und andere Lebewesen von jeher umgebenden natürlichen
Felder massiv von künstlichen Feldern überlagert. Vor
allem in bewohnten Gebieten treten heute diese künstli-
chen Magnetfelder nun großräumig, intensiv und dauer-
haft überall dort auf, wo elektrischer Strom fließt: bei der
Benutzung von elektrischen Geräten, bei Hochspan-
nungsleitungen, Bahnstromleitungen, elektrischen Hau-
sinstallationen und Transformatorenstationen. Die Feld-
stärken liegen in vielen Fällen bereits mehr als zehntau-
send- bis millionenfach höher als die natürlichen Felder
und damit im Bereich von biologisch nachweisbaren oder
vermuteten Wirkungen.
Im Bereich Niederfrequenz und untere Hochfrequenz (0 bis
30 kHz) können hohe Feldstärken zur Induktion starker
Körperströme führen. Solche Reizwirkungen auf den Orga-
nismus sind gut untersucht und bilden die Grundlage für
die Festlegung von Grenzwerten (siehe Abbildung 4). Die
Abbildung 4 gibt zudem einen Überblick über wissen-
schaftliche Untersuchungsergebnisse zu gesundheitlichen
Auswirkungen und biologischen Effekten durch nieder-
frequente Magnetfelder. Epidemiologische Untersuchun-
gen an Bevölkerungsgruppen, die erhöhten magnetischen
Feldern ausgesetzt waren, deuten auf höhere Risiken für
bestimmte Erkrankungen und Befindlichkeitsstörungen
bereits bei Flussdichten von weniger als 1 μT hin. Die Stu-
dien weisen auch auf den starken Verdacht, dass nieder-
frequente Magnetfelder ab etwa 0,2 μT zu einem erhöh-
ten Leukämierisiko bei Kindern führen (in Übereinkunft
mit internationalen Erfahrungen)
. Seit 30 Jahren stehen
niederfrequente Magnetfelder im Verdacht, das Leukä-
mierisiko für Kinder zu erhöhen. Die Weltgesundheitsor-
ganisation (WHO) klassierte im Jahr 2007 niederfrequen-
te Magnetfelder als möglicherweise krebserregend für Men-
schen. Auch bei Erwachsenen gibt es deutliche Hinweise
auf ein erhöhtes Erkrankungsrisiko an Leukämie in Zusam-
menhang mit einer erhöhten Belastung durch Magnetfel-
der. Für Expositionen über 0,2 μT werden statistisch sig-
nifikant erhöhte relative Risiken für Leukämie festgestellt.
Diese Aussagen werden durch neue, wissenschaftliche
Ergebnisse bestätigt, die in einem Bericht des schweizeri-
schen Bundesamtes für Umwelt (BAFU) zusammengefas-
st sind
. Aus Zellexperimenten ergeben sich demnach auch
Hinweise, dass niederfrequente Magnetfelder die Wirkung
bekannter krebserzeugender Stoffe verstärken können.
Es gibt sehr starke Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für
neurodegenerative Erkrankungen infolge Exposition durch
niederfrequente Magnetfelder. Für Expositionen über 0,2
μT wurden in epidemiologischen Untersuchungen stati-
stisch signifikant erhöhte relative Risiken vor allem für
eine Erkrankung an Amyotrophischer Lateralsklerose (eine
degenerativen Erkrankung des Nervensystems), weniger
deutlich auch für die Alzheimer-Krankheit und andere For-
men dementer Erkrankungen nachgewiesen. Auch liegen
zahlreiche wissenschaftliche Hinweise darauf vor, dass nie-
derfrequente Magnetfelder zu Veränderungen am Erbma-
terial, zur vermehrten Produktion von Zell-Stress-Protei-
nen und zu Beeinträchtigungen bestimmter Zellfunktio-
nen führen können. Alle diese Effekte haben Bedeutung
für die Kanzerogenese.
Damit kann – neben anderen Wirkungen – das erhöhte
Leukämierisiko ab etwa 0,2 μT als Schwelle zu einer adver-
sen Wirkung (siehe Abbildung 5) angesehen werden, die
zur Ableitung eines ausreichenden Schutzes oder der Vor-
sorge vor schädlichen Umwelteinwirkungen herangezo-
gen werden kann.
Konkretisierung des Schutz- und
Vorsorgeanspruchs
Einordnungen
Der gesetzlich festgelegte Schutz der Bevölkerung
vor Immissionen (jenseits des Arbeitsschutzes, der
hier nicht betrachtet werden soll) gilt in der Regel
für den Bereich außerhalb von Gebäuden und Wohnun-
gen (siehe Luftverunreinigungen, Lärm). Die nachfolgen-
den Betrachtungen beziehen sich daher weniger auf Quel-
len aus dem häuslichen Innenbereich, als auf den Raum
außerhalb von Gebäuden, da der jeweilige Umgang mit
dem Haushaltsstrom entsprechend individuelle Feldstär-
ken hervorruft. Der Schutzanspruch muss allerdings so
ausgestattet sein, dass auch der Innenraum ausreichend
geschützt wird und der individuelle Anspruch auf das Frei-
sein von schädlichen Einwirkungen erfüllt werden kann.
Denn im Gegensatz zu anderen Immissionen führt die
Durchdringung schützender Barrieren (zum Beispiel
Wände) bei magnetischen Feldern zur dauerhaften Ein-
wirkung von außen.
Die Begründung von Immissionswerten soll daher in zwei
Richtungen erfolgen: zum einen wird ein Schutzanspruch
(Gefahrenschutz) definiert, der an Orten gelten soll, die
dem Aufenthalt von Menschen dienen. Durch den Schutz-
anspruch wird auch definiert, bei welchen Feldstärken
bei bestehenden Leitungen eine Sanierung erforderlich
erscheint (Handlungsbedarf). Zum anderen wird die zusätz-
lich einwirkende magnetische Feldstärke definiert, die bei
dem geplanten Ausbau und Umbau von Hochspannungs-
leitungen/Erdkabel zur Vorsorge bei dem Aufenthalt dien-
enden Nutzungen/Räumen nicht überschritten werden soll.
Im Grunde gibt es möglicherweise keine Wirkungs-
schwellen, unterhalb derer mit Sicherheit ein ausreichen-
der Schutz der menschlichen Gesundheit gewährleistet ist.
Wie eine schwedische Studie eindrucksvoll belegt, sind
selbst bei Einhaltung der am Minimierungsprinzip orien-
tierten Normen (TCO-Norm) erhebliche Schadwirkungen
bei Betroffenen nicht auszuschließen. Auch aufgrund der
offensichtlich nicht linear verlaufenden Dosis-Wirkungs-
Beziehungen wird ein klarer Grenz- oder Zielwert proble-
matisch. Gleichwohl ist unser rechtlich-gesellschaftliches
System immer wieder auf einfache Wertsetzungen und
Standards hin fixiert, um nachprüfbare Entscheidungen
über das Für und Wider treffen zu können. Von besonde-
rer Bedeutung ist daher die Frage, wie eine unerwünsch-
te Wirkung definiert wird wo der Beginn dieser Wirkung
auf einer Dosis-Wirkungs-Skala liegt.
Gesundheitliche Schäden durch eine Schadwirkung (Noxe)
gelten gemeinhin dann als nachgewiesen, wenn Ergeb-
nisse aus unabhängig voneinander geführten Untersu-
chungen im Hinblick auf den Schadeffekt übereinstimmen
oder Untersuchungen nach wissenschaftlichen Regeln
durchgeführt werden und demnach als valide eingestuft
werden können. Als Ausgangspunkt zur Begründung einer
Schadwirkung gilt der so genannte „adverse Effekt“, in der
Regel ein solcher mit Krankheitswert. Durch entsprechen-
de Maßnahmen müssen adverse Effekte ausgeschlossen
werden. Insbesondere bei langfristig einwirkenden, nicht
akut toxisch wirkenden Noxen ist aber eine entsprechen-
de Beweisführung oft schwierig, so auch bei den magne-
tischen Wechselfeldern. Für die hier anzugebenden Bewer-
tungsmaßstäbe ist die VDI-Definition zur Adversität
hilfreich. Sie erlaubt es, eine größere Bandbreite von Beur -
teilungsgrundlagen zu berücksichtigen (Abbildung 5).
BUNDhintergrund
Bewertungsmaßstab zur Gefahrenabwehr:
0,01 μT
Auf Grundlage der oben aufgezeigten gesundheitlichen
Effekte und Einordnungen werden nachfolgende Bewer-
tungsmaßstäbe abgeleitet. Als Begründung von Immissi-
onswerten wird von den „konsistenten Hinweisen“ als Maß
einer hohen Evidenz für gesundheitliche Auswirkungen
und biologische Effekte ausgegangen. Ein Schwellenwert
für die magnetischen Flussdichte, der ein Tausendstel bis
ein Hundertstel unterhalb der heute noch gültigen Grenz-
werte beträgt, kann mit 0,2 μT angegeben werden. Zusätz-
lich gibt es „starke Hinweise“
als Maß der Evidenz für
neurodegenerative Erkrankungen bei ebenfalls 0,2 μT und
Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei 1 μT.
Solche Störungen wären als erhebliche gesundheitliche
(adverse) Wirkung gemäß BImSchG auszuschließen, wenn
die Evidenz der genannten Untersuchungen offiziell aner-
kannt würde. Der erweiterte Begriff von Adversität durch
den VDI erlaubt jedoch, zumindest von diesem Schwel-
lenwert auszugehen. Wenn man (in Analogie zu anderen
Noxen) zum Ausschluss dieser Effekte einen Standard defi-
niert, so ist im Allgemeinen ein – eher niedrig angesetz-
ter – Unsicherheitsfaktor 10 üblich. Dieser Unsicherheits-
faktor begründet sich auch aufgrund der Tatsache, dass
bei mutagenen kanzerogenen Effekten kein Schwellenwert
angegeben werden kann. Ein weiterer Faktor zum Schutz
empfindlicher Bevölkerungsgruppen wird hinzukommen
müssen (für Kinder, Kranke, Schwangere, Ältere). Bei der
Standardfindung im stofflich-toxikologischen Bereich lie-
gen Sicherheitsabstände mit einem Gesamt-Faktor 10 –100
unterhalb einer anerkannten Wirkungsschwelle im übli-
chen Rahmen. Setzt man hier den Sicherheitsfaktor mit
lediglich 20 an, so erhält man als erforderlichen Gefah-
renschutzstandard 0,01 μT. Dieser Unsicherheitsfaktor ist
sicherlich in speziellen Fällen einer Elektrosensibilität oder
bei einem individuell erhöhten Schutzanspruch unzurei-
chend. Er soll das Maß eines grundrechtlich gebotenen und
EU-weit eingeforderten hohen Schutzniveaus insgesamt
konkretisieren.
Tabelle 2 zeigt deutlich, dass die bisher gültige Norm der
26. BImSchV dem nationalen und internationalen Ver-
gleich nicht standhalten kann. Deutlich wird auch, dass
viele Bewertungsmaßstäbe auf das Risiko für die Krebs
erzeugende Wirkung durch Felder abstellen. Die Tabelle 3
fasst die Begründungen des BUND zum Schutz und zur
Vorsorge zusammen und schätzt die Abstände bei Freilei-
tungen unter der Annahme einer 380 kV-Freileitung ab.
Aus diesem Schutzanspruch heraus begründen sich auch
die verschiedenen Abstände bei Erdkabel.
Bewertungsmaßstab zur Vorsorge: <0,01 μT
Das nicht nur in Deutschland geltende, sondern interna-
tional eingeführte Vorsorgeprinzip ermöglicht, auch bei
noch unvollständigem Wissen um die Wirkungszusam-
menhänge und bei nicht exakt abschätzbaren Eintritts-
wahrscheinlichkeiten von Schäden, bereits wirkungsvolle
und rechtlich verbindliche Maßnahmen zur Vorsorge bzw.
Begrenzung von Risiken einzuleiten. Das Bundesverwal-
tungsgericht hat hierzu schon sehr früh herausgestellt: Es
müssen „auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht
gezogen werden, (...) (für die noch) keine Gefahr, sondern
nur ein Gefahrenverdacht oder ein ‚Besorgnispotential‘
besteht“
. Das bedeutet, einem Schädlichkeitsverdacht ist
vor der Gefahrengrenze vorzubeugen (mit ausreichendem
Sicherheitsabstand), bzw. kann Vorsorge eine Risikomini-
mierung (durch entsprechende Maßnahmen) bereits dann
verlangen, wenn kausale, empirische oder statistische Ver-
ursachungszusammenhänge nicht oder nicht hinreichend
bekannt oder nachweisbar sind
.
Die Notwendigkeit eines Vorsorgestandards ergibt sich aus
dem möglicherweise ungenügenden Sicherheitsabstand
von 20 bei der Ableitung eines Schutzstandards und der
kanzerogenen Eigenschaft von Magnetfeldern. Eine wei-
tere Minimierung der technischen Feldstärken und Unter-
schreitung des angegebenen Schutzstandards in Höhe
<0,01 μT ist daher sinnvoll und folgt auch aus dem immis-
sionsschutzrechtlichen Minimierungsgebot bei Krebs
erzeugenden Noxen.
Anwendung einer einheitlichen
Schutzsystematik im Immissionsschutz
Wegen der nicht mehr wegzudenkenden generellen Aus-
stattung unserer Lebensumwelt mit elektrischen Geräten
und deren Versorgungsleitungen soll kein pauschaler
zusätzlicher Sicherheitsfaktor zur Begründung von Vor-
sorge angegeben werden. Stattdessen soll dem Prinzip der
Minimierung und dem ALARA-Prinzip - „As Low As Rea-
sonably Achievable“ (so gering, wie dies mit vernünftigen
Mitteln machbar ist) gefolgt werden. Dieser Ansatz folgt
der international und national eingeführte Vorsorge zur
Erreichung einer angestrebten Umweltqualität und ist ver-
bindlich konkretisiert. So verfolgt die Umweltpolitik der
Union gemäß Artikel 191 Abs. 1 AEUV (ex-Artikel 174
EGV) die Ziele: Erhaltung und Schutz der Umwelt sowie
Verbesserung ihrer Qualität bzw. Schutz der menschlichen
Gesundheit. Gemäß Abs. 2 zielt die Umweltpolitik der
Union auf ein hohes Schutzniveau ab und beruht auf den
Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung. Ein Beispiel
für die Umsetzung dieses hohen Schutzniveaus in deut-
sches Recht zeigen die Vorgaben für die Luftqualität:
• § 50 Satz 2 BImSchG: Bei raumbedeutsamen Planungen
und Maßnahmen in Gebieten, in denen die in Rechts-
verordnungen (...) festgelegten Immissionsgrenzwerte
nicht überschritten werden, ist bei der Abwägung der
betroffenen Belange die Erhaltung der bestmöglichen
Luftqualität als Belang zu berücksichtigen.
• Analog dazu bestimmt § 26 der 39. BImSchV, dass sich
die zuständigen Behörden darum bemühen, die best-
mögliche Luftqualität unterhalb der genannten Werte,
die mit einer nachhaltigen Entwicklung in Einklang zu
bringen ist, aufrechtzuerhalten und berücksichtigen dies
bei allen relevanten Planungen.
• Ebenso klar äußert sich § 1 Abs. 6 Ziffer 7 Lit. h BauGB,
wonach die Erhaltung der bestmöglichen Luftqualität in
Gebieten, in denen die durch Rechtsverordnung zur
Erfüllung von bindenden Beschlüssen der Europäischen
Gemeinschaften festgelegten Immissionsgrenzwerte nicht
überschritten werden, als Belang zu berücksichtigen ist.
Es spricht nichts dagegen, diese grundsätzliche Schutzsy-
stematik im Immissionsschutz auf die magnetischen Fel-
der zu übertragen. Besonders angesprochen sind die räum-
liche Planung und andere Ermessensentscheidungen. Es
werden damit Anforderungen gestellt, die im Rahmen des
Abwägungsgrundsatzes zwingend eine „Berücksichtigung“
(und damit eine nachprüfbare Auseinandersetzung) dahin-
gehend erfahren müssen, ob die „bestmögliche Qualität“
erreicht wird. Darüber hinaus kann eine „bestmögliche
Qualität“ auch im Sinne der EU als Verbesserungsgebot
interpretiert werden. Dieser ausnutzbare Abwägungs-
spielraum deutlich unterhalb verbindlicher Mindeststan-
dards wird auch sichtbar mit der rechtlichen Interpretati-
on der planerischen Vorsorge. Maßnahmen zur Qualitäts-
sicherung lassen sich also bereits deutlich unterhalb
festgelegter Normen und Standards sowohl fachlich als
auch rechtlich begründen.
Fazit: BUND-Forderungen zum Schutz und
zur Vorsorge beim Neubau und Umbau
von Hochspannungsleitungen
Die oft vorzufindende Grundbelastung in Wohnge-
bieten liegt aufgrund vorhandener Versorgungs-
leitungen, Ausstattung mit elektrischen Geräten
etc. i. d. R. oberhalb von 0,01 μT und damit im Bereich
möglicher gesundheitlicher Effekte. Damit sich Hoch-
spannungsnetze dort nicht zusätzlich belastend auswir-
ken, sind sorgfältige und kleinräumige Untersuchungen
bei geplanten oder umzubauenden Trassen – auch im Hin-
blick auf technische Optimierungen – erforderlich. Als Fazit
aus der Betrachtung niederfrequenter magnetischer Wech-
selfelder ergeben sich die folgenden Grundforderungen:
• Trassen für die Hochspannungsleitungen (Freileitungen
und Erdkabel) sind aufgrund der möglichen Wirkungen
für Mensch und Umwelt durch Raumordnungspläne bzw.
die kommunale Bauleitplanung vorzubereiten (Flächen-
nutzungsplan) und zu sichern (Bebauungsplan). Nur hier-
durch ergeben sich weitreichende Möglichkeiten, um den
Schutz empfindlicher Nutzungen vor magnetischen
Wechselfeldern planerisch zu sichern, insbesondere
durch erforderliche Schutzabstände. Die Pflicht zur Auf-
stellung von Bauleitplänen für diesen Zweck ergibt sich
aus § 1 Abs. 3 BauGB, wonach die Gemeinden Bauleit-
pläne aufzustellen haben, sobald und soweit es für die
städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich
ist. Konkrete Erfordernisse zur Berücksichtigung von
Gesundheit und Umweltschutz sind dort weiter ausge-
führt, womit sich der hier abgeleitete Schutzstandard in
Höhe von 0,01 Mikrotesla einführen lässt.
• Errichtung und Betrieb von Hochspannungsfreileitun-
gen sind gemäß Anlage 1 des Gesetzes über die Umwelt-
verträglichkeitsprüfung (UVPG) einer Umweltverträg-
lichkeitsprüfung zu unterziehen. Hierbei sind die Aus-
wirkungen auf die menschliche Gesundheit, Flora und
Fauna explizit im Hinblick auf eine „wirksame Umwelt-
vorsorge“ zu berücksichtigen. Die wirksame Umwelt-
vorsorge vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen wird
durch den BUND-Wert in Höhe von 0,01 μT als zu
unter schreitende zusätzliche Belastung durch das
magnetische Wechselfeld konkretisiert. Für die Ausein-
andersetzung im konkreten Verfahren sollte eingefor-
dert werden, dass der Vorrang des UVPG vor den jewei-
ligen Fachgesetzen (z. B. BImSchG) berücksichtigt wird.
So bestimmt der § 4 UVPG, dass dieses Gesetz vorgeht,
soweit Bestimmungen der Fachgesetze ihm nicht ent-
sprechen (Subsidiaritätsklausel)
.
• Neue Trassen (Freileitung) werden ohnehin nicht in
unmittelbarer Nähe der dem Aufenthalt von Menschen
dienenden Gebäude bzw. anderen schutzbedürftigen
Nutzungen errichtet werden können. Aufgrund des erfor-
derlichen Schutzanspruchs in Höhe von 0,01 μT wird ein
Abstand von etwa 600 m bei Leitungen mit 380 kV) ein-
zuhalten sein, wenn keine konkreten Aussagen über die
Verringerung von Emissionen vorliegen (zum Beispiel
durch technische Optimierung). Bei der Erdverkabelung
ergeben sich wesentlich geringere Schutzabstände.
• Beim Umbau und bei der Renovierung vorhandener Lei-
tungen sind alle Maßnahmen zur Minimierung zu ergrei-
fen, um das angestrebte Schutzziel zu erreichen. Insbe-
sondere ist auch an die Anordnung der Leiterseile zur
Minimierung der magnetischen Wechselfelder zu den-
ken.
• Die Sicherstellung eines hinreichenden Schutzniveaus
erfordert ein transparentes Regelungskonzept unter
Beteiligung der Betroffenen und Akteure, auf dessen
Basis Entscheidungen generell und im Einzelfall nach-
vollzogen werden können.